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Zerstörung der Demokratie 1930 - 1932 | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Zerstörung der Demokratie 1930 - 1932

Reinhard Sturm

/ 38 Minuten zu lesen

Der Börsensturz am "Schwarzen Freitag" im Oktober 1929 traf Deutschland nach den USA besonders schwer. Massenarbeitslosigkeit und Armut führten zur politischen Radikalisierung der Bevölkerung. Eine dichte Folge von Regierungskrisen schwächten die Republik noch weiter - und trieb den Nationalsozialisten Wahlstimmen zu.

Am "Tag von Potsdam" verliest der neue Reichskanzler Adolf Hitler die Reichstagsbotschaft. (© AP)

Wirtschaftskrise

Am 24. Oktober 1929 begann ein dramatischer Verfall der Aktienkurse an der New Yorker Börse ("Schwarzer Freitag"). Ursache waren jahrelange Überinvestitionen in der Industrie und damit ein Überangebot an Waren, mit dem die Nachfrage nicht Schritt gehalten hatte. Binnen kurzem weitete sich die amerikanische Krise aufgrund der internationalen Finanz- und Wirtschaftsverflechtungen zur größten Krise der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert aus. Sie hat die Errichtung der NS-Diktatur 1933 keineswegs verursacht, aber doch mit ermöglicht und beschleunigt.

Daten zur Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik. (© Dieter Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit. Steiner, Stuttgart 1977, S. 190)

Das Deutsche Reich war, nach den USA, am stärksten von der Krise betroffen. Trotz eines sich schon 1928 ankündigenden Nachfragerückgangs hatte die Industrie auch 1929 noch investiert. Dadurch entstanden Überkapazitäten, zumal bald alle Industrieländer die bereits bestehenden Zollschranken im Zuge der Krise erhöhten. Das Überangebot an Waren führte zu einer Produktionsdrosselung; Kurzarbeit und Entlassungen sowie Firmenzusammenbrüche waren die Folge. Von 1928 bis 1931 verdoppelte sich die Zahl der jährlichen Konkurse. Im Winter 1929/30 gab es bereits mehr als drei Millionen Arbeitslose, die materiell weitaus schlechter abgesichert waren als heute. Es entstand ein Teufelskreis aus sich verringernder Kaufkraft, zurückgehender Nachfrage, sinkender Produktion und weiteren Entlassungen. In der Landwirtschaft konnten viele kleine und mittlere Bauern ihre Schulden nicht mehr abbezahlen. Es kam zu Zwangsversteigerungen, gegen die sich ein verzweifelter bäuerlicher Protest formierte. Schon 1929 trat die schleswig-holsteinische "Landvolkbewegung" durch tätliche Angriffe auf Gerichtsvollzieher und Polizisten sowie durch Bombenattentate auf staatliche Gebäude in Erscheinung.

Bruch der Großen Koalition

Die Massenarbeitslosigkeit überforderte rasch die Finanzmittel der Arbeitslosenversicherung. In der Regierung kam es zu einem anhaltenden, erbitterten – durch die gemeinsame Verabschiedung des Young-Planes am 12. März nur kurz unterbrochenen – Koalitionsstreit über die Lösung des Problems. Im Kern ging es um die Frage: Sollten die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhöht oder die Leistungen für die Arbeitslosen gekürzt werden? Die industrienahe DVP wollte zusätzliche Kosten der Arbeitgeber infolge erhöhter Beiträge vermeiden. Die Arbeitnehmerpartei SPD lehnte es ab, das ohnehin geringe Arbeitslosengeld zu kürzen.

Nach mehreren gescheiterten Lösungsansätzen unterbreitete schließlich der Zentrums-Fraktionsvorsitzende Heinrich Brüning am 27. März 1930 einen Kompromissvorschlag, der die Hauptentscheidung – Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen – vorläufig vertagte. Die DVP stimmte zu, während die SPD ablehnte, weil sie mit der Arbeitslosenversicherung die Substanz des Sozialstaates in Gefahr sah. So blieb dem Kabinett Müller am 27. März 1930 nur der Rücktritt.

Dem Anschein nach war die Große Koalition an der Unbeweglichkeit der SPD in einer an sich lösbaren Streitfrage zerbrochen. Als Hindenburg jedoch schon drei Tage später, ohne die üblichen Koalitionsverhandlungen, den neuen Reichskanzler – nämlich Heinrich Brüning – ernannte, lag der Rückschluss nahe, dass der Bruch der Großen Koalition auf langfristiger Planung beruhte, der die SPD allerdings mit ihrer kompromisslosen Haltung entgegengekommen war. Ihre bisherigen Koalitionspartner mussten eingeweiht gewesen sein, denn Brüning ersetzte lediglich die drei SPD-Minister durch Vertreter konservativer Kleinparteien sowie des gemäßigten Flügels der Deutschnationalen, der sich Ende Juli als "Konservative Volkspartei" (KVP) von der DNVP abspaltete. Die Bereitschaft der DDP zur Mitarbeit im Kabinett Brüning und bald darauf ihr Zusammenschluss mit dem antisemitischen "Jungdeutschen Orden" zur "Deutschen Staatspartei" im Juli 1930 offenbarten den Rechtstrend auch bei den Linksliberalen.

Übergang zum Präsidialregime

Die Regierung Brüning besaß keine Mehrheit. Wie der Kanzler trotzdem seine Politik durchzusetzen gedachte, teilte er dem Reichstag am 1. April 1930 in seiner Regierungserklärung mit: Sein Kabinett – so laute Hindenburgs Auftrag – sei "an keine Koalition gebunden" und werde "der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstage durchzuführen". Demnach wollte die neue Regierung notfalls ohne und gegen das Parlament arbeiten, und zwar mit Hilfe der Machtmittel des Reichspräsidenten: Notverordnungen nach Artikel 48 WV und Reichstagsauflösung nach Artikel 25 WV. Sie verstand sich als "Präsidialkabinett" oder "Hindenburg-Regierung".

An den Sondierungen und Planungen für diese autoritäre, in der Verfassung nicht vorgesehene Regierungsweise waren, außer Hindenburg, vor allem seine Berater Schleicher und Meissner sowie – neben Brüning – die Fraktionsvorsitzenden im Reichstag Ernst Scholz (DVP) und Graf Westarp (DNVP) beteiligt. Seinen Memoiren zufolge erfuhr Brüning schon kurz nach Ostern 1929 von Schleicher, der Reichspräsident sehe die Gefahr, "dass die ganze Innen- und Außenpolitik im Sumpfe verlaufe". Er wolle daher "das Parlament im gegebenen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 die Sache in Ordnung bringen". Weiter berichtet Brüning, Schleicher und er hätten sich damals auf das Ziel der Wiedereinführung der Monarchie verständigt; manche Historiker halten dies jedoch für eine nachträgliche Selbststilisierung.

Nach Meissners Erinnerungen ließ Hindenburg Ende Dezember 1929 Brüning mitteilen, er möge sich für das Amt des Reichskanzlers zur Verfügung stellen. Der angesehene Konservative galt in der Umgebung des Reichspräsidenten als möglicherweise sogar der SPD vermittelbare Integrationsfigur. Aus den Aufzeichnungen des Grafen Westarp vom 15. Januar 1930 gehen Hindenburgs Leitlinien für die Regierung Brüning hervor: "a) antiparlamentarisch, also ohne Koalitionsverhandlungen und Vereinbarungen, b) antimarxistisch [...]" (also ohne die SPD); "c) Wandlung in Preußen [...]" mit Hilfe des Zentrums – die in Preußen regierende Weimarer Koalition sollte ebenfalls gesprengt werden.

Parallel zu diesen Planungen nahmen Wirtschaftskreise verstärkt Einfluss auf die industrienahe DVP unter ihrem Vorsitzenden Ernst Scholz, um deren Austritt aus der Großen Koalition zu erreichen. Im Dezember 1929 forderte der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) in einer Denkschrift mit dem Titel "Aufstieg oder Niedergang?" Steuererleichterungen für Unternehmer, Abschaffung der Zwangsschlichtung, Senkung der Staatsausgaben und Reform der Arbeitslosenversicherung durch "Ersparnismaßnahmen, nicht aber durch erhöhte Beiträge". Diesen SPD- und gewerkschaftsfeindlichen Kurs machte sich die DVP zu eigen. Am 5. Februar 1930 schrieb der DVP-Abgeordnete Erich von Gilsa dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Stahlindustrieller, Paul Reusch, vertraulich, Scholz wolle "bewusst auf einen Bruch mit der Sozialdemokratie hinarbeiten".

Der Bruch der Großen Koalition erfolgte also im Zusammenspiel einflussreicher Vertreter autoritärer politischer – wenn nicht monarchistischer – Bestrebungen und wirtschaftlicher Interessen. Vor diesem Hintergrund erscheint Brünings Vermittlungsvorschlag vom 27. März 1930 in einem anderen Licht: der künftige Reichskanzler gedachte die Große Koalition "vor der Öffentlichkeit an der Kompromisslosigkeit der SPD und nicht an der Intransigenz des kommenden Koalitionspartners DVP zu Schanden gehen zu lassen" (Volker Hentschel).

Reichstagsauflösung

Die ersten Gesetzesvorlagen der neuen Regierung – Finanzhilfen für die ostelbische Großlandwirtschaft, Steuererhöhungen zur Deckung des Reichshaushaltes 1930 – wurden vom Reichstag mit knapper Mehrheit angenommen. Da die Arbeitslosigkeit weiter zunahm, beschloss die Regierung im Juni eine zusätzliche Deckungsvorlage: Reform der Arbeitslosenversicherung durch Beitragserhöhung auf 4,5 Prozent (der jetzt auch die DVP zustimmte) und Leistungskürzungen; Ledigensteuer; Notopfer für Beamte und Angestellte; einheitliche Kopfsteuer. Als der Reichstag Teile dieses sozial unausgewogenen Programms am 16. Juli ablehnte, setzte Brüning die gesamte Vorlage in Form zweier Notverordnungen des Reichspräsidenten nach Artikel 48 Abs. 2 WV in Kraft.

Die Jahre 1930-1933: Machtmechanismus der Präsidialregierungen.

Die Umwandlung eines vom Reichstag abgelehnten Gesetzentwurfs in eine Notverordnung war eindeutig verfassungswidrig. Der Antrag der SPD-Fraktion vom 18. Juli, Brünings Notverordnungen nach Artikel 48 Abs. 3 WV aufzuheben, wurde daher vom Parlament mit großer Mehrheit (bei gespaltener DNVP) angenommen. Unmittelbar danach löste der Reichspräsident nach Artikel 25 WV den Reichstag auf. Die Notverordnungen wurden in einer sogar noch verschärften Fassung wieder in Kraft gesetzt. Bis zur Neuwahl nach 60 Tagen konnte jetzt mit Notverordnungen regiert werden.

Wahlsieg der NSDAP

Die Reichstagswahl vom 14. September 1930, an der sich 82 Prozent der Wähler beteiligten, endete mit einer Katastrophe für die Demokratie. Die NSDAP, noch 1928 mit 2,6 Prozent und zwölf Mandaten eine Splitterpartei, erzielte 18,3 Prozent, konnte die Zahl ihrer Sitze fast verneunfachen und stellte mit 107 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion (hinter der SPD, vor der KPD). Die SPD verzeichnete erhebliche Verluste, die KPD starke Gewinne; Zentrum und BVP registrierten einen leichten Zuwachs. Auch der Anteil der "Sonstigen", das heißt der Kleinparteien, nahm etwas zu. Demgegenüber mussten DDP und DVP schwere Verluste hinnehmen; der Stimmenanteil der DNVP wurde sogar halbiert. Wenngleich Art und Ausmaß damaliger Wählerwanderungen nicht exakt bestimmbar sind, lässt sich schließen, dass überwiegend protestantische nationalkonservative und liberale Mittel- und auch Oberschichtwähler zur NSDAP gewandert waren. Besonders starken Anklang hatte Hitlers Partei offenbar bei den Mittelschichten ("alter" und "neuer Mittelstand") gefunden. Auch von der um sieben Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung hatte sie stärker als andere Parteien profitiert, das heißt Jungwähler und bisherige Nichtwähler gewonnen.

Dem entsprach die soziale Zusammensetzung der Mitgliederschaft der NSDAP: Arbeiter bildeten zwar die stärkste Einzelgruppe, waren jedoch im Vergleich zu ihrem Anteil an den Erwerbstätigen deutlich unterrepräsentiert, während die verschiedenen Mittelschichten einen überproportional hohen Anteil stellten. Ferner zog die NSDAP besonders die jüngere Generation an: Das Durchschnittsalter ihrer 130.000 Mitglieder und Funktionäre lag 1930 beträchtlich unter dem der übrigen Parteien.

Im Wahlergebnis vom 14. September 1930 spiegeln sich die materiellen und psychologischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise wider. Bereits seit Jahresbeginn lag die Arbeitslosenquote über 14 Prozent; hinter dieser Zahl verbargen sich die Schicksale von mehr als drei Millionen schlecht versorgten Arbeitnehmern und ihren Familien. Die Folge war eine politische Polarisierung: Arbeitslose Arbeiter wählten zum Teil erstmals kommunistisch. Der "alte Mittelstand" hingegen, der die sinkende Kaufkraft seiner Kunden zu spüren bekam, sah sich nach 1923 ein weiteres Mal von Verarmung und sozialem Abstieg bedroht. Er reagierte darauf mit einer Radikalisierung nach rechts zur NSDAP. Vergleichbares gilt auch für den "neuen Mittelstand".

Denn Hitlers Partei war als einzige politisch unverbraucht – ihre Glaubwürdigkeit und Kompetenz hatten noch keinen Test bestehen müssen. In Programm und Propaganda ging sie geschickter als jede andere Partei auf die speziellen Nöte und Bedürfnisse der eigentumsorientierten, "standesbewussten" Mittelschichten ein. Entsprechend der doppelten Frontstellung des alten Mittelstandes gegen KPD/SPD/Gewerkschaften einerseits und Banken/Industrie/Warenhäuser andererseits enthielten die politischen Aussagen der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" sowohl antimarxistische als auch antikapitalistische Elemente. Ihr begrenzter Antikapitalismus war – anders als der marxistische – für die Mittelschichten akzeptabel, weil "die NSDAP auf dem Boden des Privateigentums steht", wie Hitler 1928 öffentlich klarstellte. Er richtete sich nicht, wie es in der NS-Ideologie hieß, gegen das "schaffende", sondern nur gegen das "raffende Kapital", das heißt gegen Banken (zu hohe Kredit-, zu niedrige Sparzinsen), Börsen (undurchschaubare Gewinnchancen und Verlustrisiken) und Warenhäuser (bedrohliche Konkurrenz).

Wer waren die Mitglieder der NSDAP vor 1933? Überblick über die soziale Struktur der Partei.

Hinter dem "raffenden Kapital" verbargen sich, so behauptete die NS-Propaganda, die Machenschaften eines "internationalen Finanzjudentums". Dadurch wurde der Antikapitalismus in die NS-Rassenideologie integriert und gegen die Juden als Sündenböcke gerichtet. Aber auch "der Marxismus" (das heißt Organisationen und Politik der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterschaft) und die aus dem "Dolchstoß" hervorgegangene Weimarer Republik galten den Nationalsozialisten als schändliche jüdische Machwerke. Wer die inneren und äußeren Bedrohungen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft abwenden wolle, müsse die Juden bekämpfen – so lautete, zusammengefasst, die politische Botschaft der NSDAP. Wegen ihrer Einfachheit und Eingängigkeit fiel sie in Deutschland – einem der Länder mit langer antijudaistischer und antisemitischer Tradition – unter den Bedingungen der unbewältigten Kriegsniederlage und der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf fruchtbaren Boden.

Politik der Krisenverschärfung

Dass die KPD jetzt über 77, die NSDAP über 107 Reichstagssitze verfügte, hatte schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Ausländische Kapitalanleger, insbesondere die bereits unter der Krise leidenden amerikanischen und französischen Banken, die um die politische Stabilität der Weimarer Republik fürchteten, begannen mit dem Abzug ihrer kurzfristigen Kredite. Dadurch verschärfte sich die Wirtschaftskrise in Deutschland; die Arbeitslosigkeit nahm weiter zu. Ein Versuch Brünings, die Nationalsozialisten zur Tolerierung seiner Politik zu bewegen und sich so eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen, scheiterte am Machtwillen Hitlers. Der NSDAP-Führer hatte aber aus seinem fehlgeschlagenen Münchner Putschversuch von 1923 gelernt: Als geladener Zeuge in einem Leipziger Reichsgerichtsprozess, in dem drei junge Offiziere wegen nationalsozialistischer Betätigung in der Reichswehr angeklagt wurden, erklärte er am 25. September 1930 unter Eid, seine Bewegung kämpfe "nicht mit illegalen Mitteln"; aber "noch zwei bis drei Wahlen", dann werde sie "in der Mehrheit sitzen" und "den Staat so gestalten, wie wir ihn haben wollen".

Tolerierungspolitik der SPD

Die oppositionelle SPD geriet durch das Wahlergebnis in ein Dilemma. Bekämpfte sie weiterhin Brünings autoritäre und unsoziale Politik, dann bestand die Gefahr einer erneuten Reichstagsauflösung und -neuwahl. Dabei konnte die NSDAP so stark werden, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennen würde. Was aber eine NS-Regierung bedeuten musste, hatte bereits das Beispiel des Faschismus in Italien gezeigt: ein schnelles Ende der Demokratie und des Rechtsstaates, der Linksparteien und der Gewerkschaften. Vor diesem Hintergrund beschloss die SPD, Brüning als das kleinere Übel zu tolerieren. "Sie sagte nicht ‚ja‘ zu seinen Gesetzesvorschlägen und sagte nicht ‚nein‘, wenn sie deshalb als Notverordnungen erlassen wurden." (Volker Hentschel) In den Augen der Öffentlichkeit galt sie bald als Teil des "Brüning-Blocks", der vom Zentrum bis zum gemäßigten Teil der DNVP reichte, aber keine Mehrheit besaß. Da die SPD weder sozialdemokratische Politik durchzusetzen noch sich als politische Alternative zu profilieren vermochte, wurden ihre Mitglieder und Wähler zunehmend unzufriedener. Das Ansehen des Parlamentes nahm weiter ab. Denn es verlor nicht nur faktisch seine demokratische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung, sondern wurde auch als Zentrum der Gesetzgebung zunehmend funktionslos. Das Präsidialregime griff immer öfter zu Notverordnungen, der Reichstag trat immer seltener zusammen. Diese Aushöhlung des Parlamentarismus hat der NSDAP 1933 die Errichtung der Diktatur wesentlich erleichtert.

Deflationspolitik und Massenarbeitslosigkeit

Die Regierung Brüning erhöhte die direkten Steuern (auf Löhne, Einkommen und Umsätze), besonders aber die indirekten (Massenverbrauchssteuern, unter anderem auf Zucker, Tabak und Bier). Sie baute die staatlichen Sozialausgaben ab und kürzte die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst (mit Ausnahme der Reichswehr). Auf diese Weise wollte Brüning das krisenbedingte Sinken des Steueraufkommens abfangen, Einnahmen und Ausgaben des Staates im Gleichgewicht halten und die im Zuge des Produktionsrückganges überschüssig werdende Kaufkraft abschöpfen. Diese "Deflationspolitik" zielte vor allem auf die Sicherung der Geldwertstabilität, die nicht nur den Vorschriften des Young-Plans, sondern – nach der traumatischen Inflationserfahrung von 1923 – durchaus auch den Interessen der Bevölkerung entsprach.

Die Deflationspolitik war jedoch kein Mittel gegen die Krise, sondern verschärfte diese sogar noch. Denn durch Kürzung der Staatsausgaben und Senkung der privaten Einkommen verringerte sich die kaufkräftige Nachfrage; dadurch ging die Produktion noch weiter zurück, während die Arbeitslosigkeit rapide anstieg. Je länger die Krise anhielt, desto mehr Arbeitslose fielen spätestens nach 26, als über 40-jährige nach 39 Wochen aus der Arbeitslosenversicherung mit ihren bescheidenen, nach Lohnklassen gestaffelten Leistungen heraus. Danach erhielten sie bis zu 39 bzw. 52 Wochen deutlich geringere (bedürftigkeitsgebundene) Leistungen der Krisenfürsorge; schließlich noch knappere (rückzahlungspflichtige) Zuwendungen der kommunalen Wohlfahrtsunterstützung. Von den 4,7 Millionen Arbeitslosen im Frühjahr 1931 bezogen 43 Prozent Arbeitslosengeld, 21 Prozent Krisenfürsorge und 23 Prozent Wohlfahrtsunterstützung. Die übrigen 13 Prozent bekamen überhaupt keine Unterstützung. Demgegenüber wurde die ostelbische Großlandwirtschaft auf Wunsch Hindenburgs weiterhin subventioniert.

Im Verlaufe des Jahres 1931 führten zwei einschneidende Ereignisse zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Zunächst scheiterte am 18. Mai, vor allem am Einspruch Frankreichs, der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion, die für beide Länder wirtschaftlich vorteilhaft gewesen wäre. Ausländische Kapitalanleger riefen daraufhin zahlreiche fällige Kredite zurück, statt sie zu verlängern. In beiden Ländern gerieten viele Banken in Schwierigkeiten, zumal viele in Panik versetzte Sparer ihre Einlagen abheben wollten. Am 13. Juli stellte eine renommierte Großbank, die "Darmstädter und Nationalbank", ihre Zahlungen ein.

Die deutschen Banken wurden für zwei Tage geschlossen; das Reich musste sie mit einer Milliarde RM stützen. Bankkunden konnten nur noch eingeschränkt über ihre Guthaben verfügen; die Kapitalknappheit der Unternehmen verschärfte sich. Da die Bankenkrise unabsehbare Gefahren barg, setzte der amerikanische Präsident Herbert Hoover durch, die deutschen Reparationszahlungen an die Siegermächte und ebenso die Rückzahlung der alliierten Kriegsschulden an die USA ab 6. Juli 1931 für ein Jahr zu unterbrechen ("Hoover-Moratorium"), um die betreffenden Länder zu entlasten.

Sodann koppelte Großbritannien am 21. September das Pfund Sterling vom Goldstandard ab und wertete es um 20 Prozent ab. Durch eine entsprechende Verbilligung seiner Waren auf dem Weltmarkt wollte das Land seinen Export fördern und den Arbeitsmarkt beleben. Zahlreiche Länder folgten dem Beispiel; das internationale Währungssystem mit festen Wechselkursen auf der Basis des Goldpreises brach zusammen. Der Wert der Reichsmark stieg; deutsche Produkte verteuerten sich auf dem Weltmarkt; die Auslandsnachfrage ging zurück. Brüning reagierte darauf mit einer weiteren Verschärfung der Deflationspolitik: Per Notverordnung vom 6. Oktober 1931 senkte er den Bezug des Arbeitslosengeldes von 26 auf 20 Wochen. Am 8. Dezember verordnete er allgemeine Lohn-, Miet-, Zins- und Preissenkungen, um die Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft auszugleichen. Diese marktwirtschaftswidrige Maßnahme führte jedoch nur zu einer Verunsicherung von Herstellern und Verbrauchern; die Inlandsnachfrage nahm weiter ab.

Bankenkrise, Pfundabwertung und deflationspolitische Notverordnungen bewirkten einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt des Jahres 1932 gab es 5,6 Millionen registrierte Arbeitslose (29,9 Prozent). Ende Februar lag die Zahl der "sichtbaren" Arbeitslosen bei 6,1 Millionen; rechnet man schätzungsweise 1,5 Millionen "unsichtbare" (Menschen, die sich aus Scham über ihre Armut nicht meldeten) hinzu, so ist tatsächlich von 7,6 Millionen Beschäftigungssuchenden auszugehen.

Rolle Brünings

Manche Historiker sehen in Brüning den letzten Reichskanzler, der mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln versuchte, die Weimarer Republik durch die Weltwirtschaftskrise hindurchzusteuern. Brünings Politik lässt jedoch erkennen, dass er die Wirtschafts- und Finanzpolitik seinen außen- und innenpolitischen Plänen (Überwindung des Versailler Vertrages, autoritäre Umgestaltung des Staates, wenn nicht gar Rückkehr zur Monarchie) unterordnete. Sein erstes Etappenziel war die Aufhebung der Reparationsverpflichtungen. Brüning wollte den Siegermächten demonstrieren, dass das Reich trotz größter Anstrengungen die Auflagen des Young-Plans (Zahlung der Jahresraten bei stabiler Währung und ausgeglichenem Staatshaushalt) nicht erfüllen konnte. Neuverhandlungen sollten dann zu einer Abschlussregelung führen. Die Verschärfung der Wirtschaftskrise und die um sich greifende soziale Verelendung breiter Massen nahm Brüning bewusst in Kauf. Deshalb wies er auch alle Expertenvorschläge für eine aktive Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik zurück. Prompt machte sich die NSDAP diese Vorschläge zu eigen und betrieb damit 1932 eine geschickte und wirkungsvolle Wahlpropaganda.

QuellentextAlternativen zu Brünings Deflationspolitik

Die Deflationspolitik der Jahre 1930 bis 1932 wird in der Geschichtsforschung kontrovers beurteilt.

Der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt vertritt die Ansicht, dass Brüning unter den damaligen Bedingungen keine wesentlich andere Finanz- und Wirtschaftspolitik hätte betreiben können. Er argumentiert im Kern folgendermaßen:

Die deutsche Wirtschaft befand sich schon vor 1929 infolge zu hoher Löhne, Steuern, Rohstoffpreise und Kreditkosten in einer Strukturkrise, die 1930 bis 1932 zunächst (wie von Brüning versucht) bereinigt werden musste, bevor an eine aktive Konjunkturpolitik zu denken war.
Zur Zeit der Kanzlerschaft Brünings war die mit dem Namen des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes verbundene Theorie der "antizyklischen Wirtschaftspolitik" und des "deficit spending" (bei sinkender privater Nachfrage müsse der Staat mit kreditfinanzierten Aufträgen einspringen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln) noch nicht ausreichend entwickelt und bekannt.
Die strengen Vorschriften des Reichsbankgesetzes und des Young-Planes erlaubten weder eine Kreditausweitung noch eine Abwertung der Reichsmark als konjunkturbelebende Maßnahmen.
Für eine Abwertung der Reichsmark und für ein "deficit spending" gab es damals bei Parteien und Verbänden wegen der verbreiteten Inflationsfurcht keine ausreichende Unterstützung.

Demgegenüber hat die Historikerin Ursula Büttner nachgewiesen, dass es sehr wohl Alternativen zur Deflationspolitik gegeben hat. Ihre Einwände gegen Borchardts Argumentation lauten zusammengefasst so:

Die schon vor 1929 entstandenen Strukturprobleme waren in einer wachsenden Wirtschaft sicher leichter zu lösen als in einer schrumpfenden. Am erforderlichen Know-how für eine aktive Konjunkturpolitik fehlte es durchaus nicht. Keynes erläuterte 1930/32 in Deutschland in einer Reihe von Vorträgen und Zeitungsartikeln seine bereits ausgereifte Theorie der antizyklischen Wirtschaftspolitik und stieß dabei auf großen Widerhall. So legte der Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium Wilhelm Lautenbach im September 1931 einen an Keynes orientierten Plan zur Ankurbelung der Wirtschaft (ohne inflatorische Auswirkungen) mittels kreditfinanzierter Staatsaufträge in Höhe von drei Milliarden RM vor. Hans Schäffer, Staatssekretär im Finanzministerium, befürwortete den Lautenbach-Plan in seiner Denkschrift vom September 1931 nachdrücklich. Ernst Wagemann, Leiter des Statistischen Reichsamtesund des Instituts für Konjunkturforschung, veröffentlichte im Januar 1932 in hoher Auflage einen eigenen Plan zur Erhöhung des staatlichen Kreditrahmens um bis zu drei Milliarden RM für die Konjunkturbelebung.
In der Krise des Sommers 1931 verloren das Reichsbankgesetz und der YoungPlan an Bedeutung, da sie ohnehin nicht mehr einzuhalten waren. Die Vertragspartner hätten sich mit einer geringeren Deckung der Reichsmark abgefunden, deren Abwertung nach britischem Vorbild im Ausland allgemein erwartet wurde.
Der Wunsch nach einer Bekämpfung der Wirtschaftskrise mit den Mitteln der Finanz- und Geldpolitik breitete sich seit Herbst 1931 so stark aus, dass entsprechende Maßnahmen der Regierung – trotz der ablehnenden Haltung der Unternehmerverbände und der Parteiführungen – in der Bevölkerung breite Unterstützung gefunden hätten. Ein klares Indiz dafür ist insbesondere der vom ADGB im April 1932 beschlossene sog. WTB-Plan (benannt nach seinen Verfassern Wladimir Woytinski, Fritz Tarnow und Fritz Baade). Das Konzept sah vor, rund eine Million Arbeitslose mit öffentlichen Arbeiten zu beschäftigen; die dafür erforderlichen zwei Milliarden RM sollte der Staat durch Kredite aufbringen. Weil sich die Ausgaben für die Arbeitslosen entsprechend verringern, die Steuereinnahmen erhöhen würden, veranschlagte man die realen Kosten auf 1,2 Milliarden RM. Der WTB-Plan zielte auf eine Wiederbelebung der Konsumgüterindustrie mit weiteren positiven Beschäftigungseffekten, sodass eine inflatorische Wirkung vermieden würde. Die SPD-Führung lehnte jedoch eine Kreditfinanzierung ab, weil sie davon eine Inflation, nach den Erfahrungen von 1923 zumindest eine neuerliche Inflationsfurcht in der Bevölkerung erwartete.
Wie Schäffer am 29. Januar 1932 in seinem Tagebuch festhielt, empörte sich der Kanzler besonders über Wagemann:
1. erwecke Wagemann den Gewerkschaften gegenüber den Eindruck, "als ob es noch andere Mittel gebe als die Deflationspolitik, um unsere Lage zu bessern".
2. könnten Wagemanns Vorschläge "in das Reparationsprogramm hineinhageln".
3. sei zu befürchten, dass die Nationalsozialisten, die "bisher vergeblich nach einem Währungsprogramm gesucht hätten", Wagemanns Plan übernehmen und daraus politische Vorteile ziehen würden.

Zusammenfassung von R. Sturm nach:
Knut Borchardt, "Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen Dreißigerjahre.", in: Michael Stürmer (Hg.), Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion GmbH, Kettwig 2011, S. 318 bis 339. Ursula Büttner, "Politische Alternativen zum Brüningschen Deflationskurs," in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 37 (1989), H. 2, S. 209-251

Politische Radikalisierung

In dem Maße, wie sich die Talfahrt der Wirtschaft beschleunigte und Millionen Familien verarmten und verelendeten, eskalierten die politischen Auseinandersetzungen und kam es zu Zusammenstößen zwischen den Wehrverbänden der großen rechten und linken Parteien:

  • Der "Stahlhelm – Bund der unbesiegt heimgekehrten Frontsoldaten" organisierte schon seit Ende 1918 bis zu eine Million Mitglieder und war der DNVP zuzurechnen.

  • Die von der NSDAP 1921 geschaffene "Sturmabteilung" (SA) umfasste Anfang 1932 etwa 420.000 Mitglieder; ihr unterstand (bis 1934) die 1925 gebildete SS ("Schutzstaffel") mit rund 52.000 Mann.

  • Das 1924 gegründete SPD-nahe "Reichsbanner Schwarz Rot Gold – Bund der republikanischen Frontsoldaten" war der einzige verfassungstreue Wehrverband und besaß ca. eine Million Mitglieder.

  • Dem ebenfalls 1924 entstandenen "Roten Frontkämpferbund" (RFB) der KPD gehörten 1927 rund 130.000 Mitglieder an.

Alle Verbände waren mehr oder weniger uniformiert, traten militant auf und besaßen geheime Waffenlager. Während "Stahlhelm", SA und SS kooperieren konnten, waren "Reichsbanner" und RFB verfeindet. In den Jahren 1931 und 1932 führten zunehmend blutiger verlaufende Straßenkrawalle und Saalschlachten, vor allem zwischen SA und RFB, in den großen Städten nicht selten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Auch politische Mordanschläge wurden wieder begangen, sowohl von Nationalsozialisten als auch von Kommunisten. Die Polizei erschien oft zu spät; auch sympathisierten immer mehr Polizisten mit den Rechtsverbänden.

Dass in Preußen noch immer der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun mit einer Weimarer Koalition regierte, war der politischen Rechten seit langem ein Dorn im Auge. Im Frühjahr 1931 leitete der "Stahlhelm" ein (auch auf Länderebene zulässiges) Volksbegehren für die sofortige Auflösung des Preußischen Landtages ein. Es wurde unterstützt von DNVP, NSDAP und KPD – die Kommunisten schreckten bei ihrem verblendeten Kampf gegen die Sozialdemokraten nicht einmal vor einem Bündnis mit den "Faschisten" zurück. Die Aktion schlug jedoch fehl: Beim Volksbegehren kam die erforderliche Mindestzahl von Unterschriften nur knapp zusammen; beim Volksentscheid am 9. August 1931 fehlten rund 3,4 Millionen Stimmen.

Am 7./9. Oktober 1931 wurden mehrere Minister der Regierung Brüning ausgetauscht. Der Reichskanzler übernahm selbst das Auswärtige Amt, Reichswehrminister Groener erhielt zusätzlich das Innenministerium – eine gefährliche Machtkonzentration. Dieses zweite Kabinett Brüning sollte nach Hindenburgs Wunsch noch unabhängiger von den Parteien und vom Parlament sein; es signalisierte einen weiteren Rechtsruck bei den Machtträgern des Präsidialregimes.

Harzburger Front

Am 11. Oktober 1931 veranstaltete die nationalistische Rechte – NSDAP, DNVP, Stahlhelm, Reichslandbund und Alldeutscher Verband – in Bad Harzburg eine Tagung, verbunden mit einem Aufmarsch ihrer Verbände, um Stärke und Geschlossenheit zu demonstrieren. Prominenteste Gäste waren der Kaiser-Sohn und SA-Gruppenführer August Wilhelm Prinz von Preußen ("Auwi"), der frühere Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und General a. D. von Seeckt. Ein Misstrauensvotum von DNVP und NSDAP gegen das zweite Kabinett Brüning, dem sich auch die DVP und die KPD anschlossen, scheiterte am 16. November 1931 knapp – ausschlaggebend waren die Gegenstimmen der SPD. Ende November wurden konkrete Umsturzpläne der hessischen NSDAP ("Boxheimer Dokumente") bekannt. Brüning spielte jedoch den Vorfall herunter, um mögliche Koalitionen des Zentrums mit der NSDAP nicht zu verbauen.

Als Antwort auf die "Harzburger Front" gründeten SPD, ADGB, AfA-Bund, "Reichsbanner" und Arbeitersportorganisationen am 16. Dezember 1931 gemeinsam die "Eiserne Front". Sie veranstaltete unter dem Fahnensymbol der drei Pfeile – als Gegensymbol zum Hakenkreuz – politische Umzüge und Kundgebungen und trat äußerlich militant auf, um Stärke zu demonstrieren und Gegner von Übergriffen abzuschrecken.

Reichspräsidentenwahl 1932

In dieser angespannten Situation ging Anfang 1932 die siebenjährige Amtsperiode des Reichspräsidenten zu Ende. Der mittlerweile 85-jährige Hindenburg stellte sich zur Wiederwahl. Anders als 1925 trat ein aussichtsreicher rechter Gegenkandidat an: Adolf Hitler, dem eine DNVP-NSDAP-Regierung in Braunschweig Ende Februar 1932 zu der für die Kandidatur notwendigen deutschen Staatsbürgerschaft verhalf. Hinzu kamen Theodor Duesterberg ("Stahlhelm"), Ernst Thälmann (KPD) sowie einige Kandidaten von Splitterparteien. Hindenburgs Wiederwahl wurde zunächst von Zentrum und BVP, DDP und DVP unterstützt. Da alles auf eine Entscheidung zwischen Hitler und Hindenburg hindeutete, hielt die SPD an ihrer Politik des kleineren Übels fest: Sie verzichtete auf einen eigenen Kandidaten und gab die Parole aus: "Schlagt Hitler! Darum wählt Hindenburg!" Für ihre Anhänger war das eine irritierende Zumutung, die sie aber überwiegend diszipliniert befolgten.

Im 1. Wahlgang am 13. März 1932 verfehlte Hindenburg mit 49,6 Prozent die erforderliche absolute Mehrheit nur knapp, in weitem Abstand gefolgt von Hitler (30,1 Prozent), Thälmann (13,2 Prozent), Duesterberg (6,8 Prozent) und den übrigen Kandidaten. Duesterberg gab auf und unterstützte Hindenburg. Im 2. Wahlgang am 10. April wurde der amtierende Reichspräsident mit 53 Prozent der Stimmen wieder gewählt. Hitler brachte es auf 36,8 Prozent, Thälmann nur noch auf 10,2 Prozent. Gemessen an der prahlerischen Ankündigung seines Wahlkampfleiters Joseph Goebbels "Hitler wird unser Reichspräsident!" hatte sich der NSDAP-Führer blamiert. Gleichwohl zeigte sein Abschneiden, dass das nationalsozialistische Wählerpotenzial seit September 1930 um fünf Millionen Stimmen angewachsen war. Aber auch der Wahlsieger sah wenig Grund zur Freude. Der Reichspräsident empfand es als Schmach, dass er seine zweite Amtsperiode ausgerechnet seinen Gegnern von 1925, den Sozialdemokraten und den Katholiken, verdankte. Groteskerweise richtete Hindenburg seinen Groll gegen Brüning, der sich wie kein anderer im Wahlkampf für ihn engagiert und dabei auch die NSDAP scharf angegriffen hatte. Brünings Sturz war jetzt nur noch eine Frage der Zeit.

Brünings Entlassung

Im Laufe seiner Kanzlerschaft hatte sich Brüning die Sympathien der Präsidentenberater und der hinter ihnen stehenden autoritär-monarchistisch gesinnten Teile der militärischen, bürokratischen und wirtschaftlichen Eliten immer mehr verscherzt, weil er sich nicht als Marionette benutzen ließ, sondern seinen eigenen politischen Kurs steuerte, noch dazu toleriert von der SPD, die diesen Eliten besonders verhasst war. Zum entscheidenden Konflikt kam es, als Brüning und Groener auf Wunsch zahlreicher Länder (darunter Bayern ebenso wie Preußen) beim Reichspräsidenten ein Verbot der SA und der SS erwirkten, um die Hauptursache der politischen Gewalt zu bekämpfen; es trat am 13. April 1932 in Kraft.

Der Reichspräsident und seine Berater störten sich daran, dass das (republiktreue) "Reichsbanner" nicht ebenfalls verboten werden sollte. Zudem sah Schleicher seine Planung in Gefahr, Brüning zu stürzen und die NSDAP entweder an der Regierung zu beteiligen oder zumindest für eine Tolerierungspolitik zu gewinnen. Am 7. Mai trafen Schleicher und Hitler eine geheime Absprache: Schleicher würde für Brünings Ablösung, die Wiederzulassung von SA und SS sowie Reichstagsneuwahlen sorgen. Im Gegenzug würde die NSDAP die nächste Präsidialregierung im Reichstag tolerieren.

Auf Betreiben Schleichers musste Groener am 12. Mai zurücktreten. Auch für Brünings Entlassung war bald ein Grund gefunden. Der Reichskanzler wollte im Mai den ostelbischen Gutsbesitzern eine weitere kräftige Finanzhilfe zukommen lassen. Jedoch sollte der Staat Güter, die nicht mehr sanierungsfähig waren, aufkaufen bzw. ersteigern und in Bauernstellen für Arbeitslose aufteilen. Es fiel der "Kamarilla" leicht, den Reichspräsidenten, der selbst Gutsbesitzer war, gegen diesen "Agrarbolschewismus" aufzubringen. Hindenburg entzog Brüning am 29. Mai das Recht auf Anwendung des Artikels 48 WV; daraufhin musste die Reichsregierung am nächsten Tag zurücktreten – nach Ansicht Brünings "hundert Meter vor dem Ziel", wie er schon am 11. Mai im Reichstag geäußert hatte.

Tatsächlich wurde bald darauf das Reparationsproblem in seinem Sinne gelöst. Die vom 16. Juni bis 9. Juli 1932 in Lausanne tagende Konferenz aller betroffenen Staaten einigte sich auf die völlige Streichung der deutschen Reparationsschuld; selbst eine eher symbolisch geforderte Abschlusszahlung wurde nicht mehr geleistet. Doch der Preis für diesen Erfolg war hoch: Er bestand in einer Aushöhlung des Parlamentarismus, einer Verschärfung der Wirtschaftskrise, einer Steigerung des sozialen Elends von Millionen Familien und einer bis dahin nicht gekannten politischen Radikalisierung. Brünings Politik beschleunigte den Aufstieg der rechtsextremen, gewaltbereiten NSDAP zu einer staatsgefährdenden Massenbewegung.

Regierung von Papen

Neuer Reichskanzler wurde überraschend der katholisch-westfälische Adelige, monarchistische Zentrumspolitiker und preußische Landtagsabgeordnete Franz von Papen. Er verfügte als Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Zentrumszeitung "Germania" sowie als Mitglied des konservativ-elitären Berliner "Herrenklubs" über gute Kontakte zu Industrie, Großlandwirtschaft, Banken und Bürokratie. Da er gegen den Willen der über Brünings Sturz verärgerten Zentrumsführung die Kanzlerschaft annahm, musste er aus der Partei austreten. Auf den Vorwurf "Der Papen ist doch kein Kopf!" antwortete Schleicher ungerührt: "Das soll er ja auch nicht sein. Aber er ist ein Hut." Papen gewann jedoch rasch das Vertrauen Hindenburgs und entzog sich Schleichers Bevormundung.

Dem am 1. Juni 1932 vereidigten Kabinett gehörten sieben adlige und nur drei bürgerliche, nationalkonservative, aber überwiegend parteilose Minister an. Schleicher trat erstmals selbst als Reichswehrminister ins politische Rampenlicht. Dieses "Kabinett der Barone" unter "Herrenreiter" Papen, wie seine Kritiker spotteten, repräsentierte überwiegend die Interessen der ostelbischen Großagrarier und der militärischen Führungsschicht; die Industrie war nur durch Wirtschaftsminister Warmbold vertreten, Mittelschichten und Arbeitnehmerschaft überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit traute der Regierung Papen eine Überwindung der Wirtschaftskrise noch weniger zu als dem Kabinett Brüning; prompt fielen die Aktienkurse.

Parlamentarische Unterstützung erhielt Papen lediglich von der DVP und der DNVP. Die SPD beendete sofort ihre Tolerierungspolitik und plante einen Misstrauensantrag, dem die Regierung jedoch zuvorkam: Am 4. Juni 1932 löste der Reichspräsident – wie zwischen Schleicher und Hitler besprochen – den Reichstag auf, denn dieser entspreche nicht mehr "dem politischen Willen des deutschen Volkes". Damit spielte Hindenburg darauf an, dass die NSDAP am 24. April bei den Landtagswahlen in Preußen, Württemberg, Hamburg und Anhalt stärkste, in Bayern zweitstärkste Partei geworden war.

Im Juni und Juli 1932 fand, nachdem Schleicher die Wiederzulassung von SA und SS durchgesetzt hatte, der blutigste Wahlkampf in der deutschen Geschichte statt. Zwischen rechten und linken Wehrverbänden kam es zu Straßenkrawallen, Schießereien, Saalschlachten und Mordanschlägen, bei denen etwa 300 Menschen starben und über 1100 verletzt wurden. Allein am 17. Juli, dem "Altonaer Blutsonntag", gab es 18 Tote und 68 zum Teil schwer Verletzte, als ein nationalsozialistischer Demonstrationsmarsch durch die kommunistischen Wohnviertel von Altona zu einem stundenlangen Feuergefecht zwischen RFB und SA ausartete.

Unterdessen nahmen die in der Umgebung des Reichspräsidenten gehegten autoritären Verfassungspläne konkrete Gestalt an. Papen entwickelte die Idee eines "Neuen Staates" mit folgenden Prinzipien:

  • Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten,

  • Unabhängigkeit des Reichskanzlers vom Vertrauen des Reichstages,

  • Einrichtung eines dem Parlament übergeordneten, aristokratisch und berufsständisch zusammengesetzten "Oberhauses", dessen Mitglieder vom Reichspräsidenten ernannt wurden.

Die Ähnlichkeit mit den Strukturen des Kaiserreiches ist unübersehbar – am Ende der Entwicklung sollte denn auch die Rückkehr zur Monarchie stehen. Der erste Schritt auf dem Weg zum "Neuen Staat" lag nahe: die Ausschaltung der "roten Festung" Preußen. Denn die Regierung Braun hatte in der Landtagswahl vom 24. April 1932 ihre Mehrheit verloren. Die neue Sitzverteilung im preußischen Landtag (KPD 57, SPD 94, Zentrum 67, DVP 7, DNVP 31, NSDAP 162) ergab eine "negative Mehrheit" der rechts- und linksradikalen Parteien. Da eine Zentrum-NSDAP-Koalition nicht zustande kam, blieb das bisherige Kabinett als "geschäftsführende Regierung" mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit im Amt. Braun war überdies gesundheitlich angeschlagen und besaß keinen Kampfgeist mehr.

Absetzung der preußischen Regierung

Als Vorwand diente der "Altonaer Blutsonntag". Am 20. Juli 1932 erließ Hindenburg zwei Notverordnungen "zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" in Preußen. Durch die erste trat Papen als "Reichskommissar" an die Stelle des Ministerpräsidenten; er übertrug dem rechtsstehenden (parteilosen) Essener Oberbürgermeister Franz Bracht die Geschäfte des Innenministers. Durch die zweite Verordnung wurde die vollziehende Gewalt in Groß-Berlin und Brandenburg auf die Reichswehr übertragen.

Die Reichsexekution gegen Preußen war ein reiner Willkürakt und sogar ein "Staatsstreich" (Heinrich August Winkler). Die Regierung Braun protestierte und klagte gegen ihre Absetzung mit Unterstützung der süddeutschen Länder, die den Föderalismus verletzt sahen, vor dem Staatsgerichtshof. Im Oktober 1932 erklärte das Gericht eine vorübergehende Einsetzung von Reichskommissaren für zulässig, deren Beauftragung mit der Vertretung Preußens im Reichsrat hingegen für verfassungswidrig. An der Absetzung der Regierung Braun änderte das Urteil also nichts. Demokraten, insbesondere SPD-Mitglieder, hatte Papen bereits aus allen Führungspositionen des preußischen Staatsapparates entfernen lassen.

Durch den "Preußenschlag", in den man Hitler vorher eingeweiht hatte, erhielt die an die Macht strebende NSDAP starken Auftrieb. Denn die Sozialdemokratie hatte vor einem scheinlegalen Angriff auf ihre letzte Machtbastion im Weimarer Staat quasi kapituliert; SPD und KPD blieben zerstritten. Demnach war auch gegen die Errichtung einer Diktatur, die sich rechtmäßig gab, kein kämpferischer Widerstand der Linken zu erwarten. So schrieb die NSDAP-Zeitung "Völkischer Beobachter" am 21. Juli 1932 auf ihrer Titelseite: "Liquidierung der Novemberherrschaft!" – "Der Anfang ist gemacht, wir werden sie zu Ende führen." In den folgenden Wochen begann Hitler mit der Planung eines "Ermächtigungsgesetzes", das einer von ihm geführten Regierung die allgemeine und die verfassungsändernde Gesetzgebung übertragen sollte.

Wegen dieser strategischen Bedeutung des "Preußenschlages" im Prozess der Demokratiezerstörung stellt sich die Frage, ob am 20. Juli 1932 ein erfolgreicher Widerstand der demokratischen Kräfte – in erster Linie der SPD, der Gewerkschaften und der "Eisernen Front" – möglich gewesen wäre. Sie wird von den Historikern überwiegend verneint. In den Reihen der "Eisernen Front", insbesondere im "Reichsbanner", existierte eine beträchtliche Kampfbereitschaft, doch war sie regional unterschiedlich ausgeprägt. Auch bedeutete Kampfbereitschaft nicht schon Bürgerkriegsfähigkeit. Denn ein Konzept für bewaffnete Aktionen zur Rettung der Demokratie hatten SPD und Gewerkschaften – trotz Gründung des Reichsbanners und der "Eisernen Front" – nie entwickelt. Schon gar nicht besaßen sie die skrupellose Gewaltbereitschaft der NSDAP oder der KPD. Vielmehr hatte die sozialdemokratische Führung aus dem abschreckenden Beispiel der Russischen Revolution und aus ihren eigenen Erfahrungen die Lehre gezogen, ihre Politik an den Prinzipien Legalität, Humanität und Gewaltlosigkeit auszurichten.

Einen Generalstreik, wie ihn vor allem die KPD forderte, lehnten die Gewerkschaften ab. Anders als beim Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 hielten sie ihn diesmal für eine stumpfe Waffe, denn mehr als sechs Millionen Arbeitslose standen bereit, um die Plätze der Streikenden einzunehmen. So beschränkte sich die Sozialdemokratie auf Proteste und konzentrierte sich auf den Reichstagswahlkampf.

Reichstagswahlen 1932

Am 31. Juli 1932 gingen mehr Bürgerinnen und Bürger zur Wahl als je zuvor (84,1 Prozent). Die SPD verlor abermals Stimmen an die KPD. Zwei Jahre Tolerierungspolitik gegenüber Brüning, der Ausschluss prominenter linker Kritiker des Parteikurses (im September 1931), die Mitwahl Hindenburgs und das Stillhalten in Preußen hatten Teile der SPD-Wählerschaft enttäuscht.

Während Zentrum und BVP leichte Gewinne erzielten, wurden die protestantischen bürgerlichen Mittelparteien fast völlig aufgerieben. Auch die DNVP musste erneut – diesmal leichtere – Verluste hinnehmen. Überragender Wahlsieger wurde erwartungsgemäß die NSDAP. Weil sie wohl allen Parteien, außer KPD und Zentrum, in unterschiedlichem Umfang Wähler abspenstig machte, konnte sie ihren Anteil an Stimmen (13,7 Millionen = 37,3 Prozent) und Mandaten (230) mehr als verdoppeln. Damit stellte sie die weitaus stärkste Reichstagsfraktion – und nach parlamentarischem Brauch den Reichstagspräsidenten (Hermann Göring). Die anhaltende krisenbedingte Polarisierung und Radikalisierung großer Teile der Bevölkerung und ein überaus geschickter, moderner (vorwiegend aus Eigenmitteln, zum Teil auch aus Wirtschaftsspenden finanzierter) Wahlkampf hatten der NSDAP neue Wählermassen zugeführt. Hitler hatte als erster deutscher Politiker ein Flugzeug benutzt, um möglichst viele Wahlreden halten zu können.

Aus taktischen Gründen – man wollte seriöser wirken als bisher – war der Antisemitismus im Wahlkampf in den Hintergrund getreten. Hitlers Partei bildete jetzt "das große Auffangbecken für alle Gegner des demokratischen Systems, für alle Enttäuschten, Verbitterten und Fanatisierten" (Eberhard Kolb), soweit diese nicht der KPD zuneigten. Nach wie vor kamen bei der NSDAP etwa 60 Mittelschichtwähler auf 40 Wähler aus Arbeiterhaushalten (Jürgen W. Falter). Manche Historiker sehen in ihr die erste moderne "Volkspartei" unter den Weimarer Klassen-, Interessen- und Konfessionsparteien; dafür fehlten ihr jedoch wichtige Merkmale wie innerparteiliche Demokratie und konstruktive politische Ziele. Sie blieb eine rechtsextreme "schichtenunspezifische Protestbewegung mit Mittelschichtenschwerpunkt" (Helga Grebing).

Wie im Preußischen Landtag gab es jetzt auch im Reichstag eine "negative Mehrheit" der radikalen Flügelparteien. Gestützt auf seinen Wahlerfolg, widerrief Hitler seine Tolerierungszusage. Schleichers Angebot, die NSDAP an der Regierung Papen zu beteiligen, schlug er aus und verlangte für seine Partei am 13. August 1932 von Hindenburg "die Führung einer Regierung und die Staatsführung in vollem Umfange". Der Reichspräsident erteilte ihm eine öffentliche Abfuhr: Er könne es nicht verantworten, "die gesamte Regierungsgewalt ausschließlich der nationalsozialistischen Bewegung zu übertragen, die diese Macht einseitig anzuwenden gewillt sei".

Da der Regierung ein Misstrauensvotum des neuen Reichstages bevorstand, Papen aber längere Zeit im Amt bleiben sollte, ermächtigte Hindenburg den Kanzler am 30. August 1932 zur Auflösung des Parlamentes ohne fristgemäße Neuwahl. Vor einem derart schweren Verfassungsbruch schreckte Papen jedoch zurück. So sprach ihm der Reichstag in seiner ersten Arbeitssitzung mit 512 gegen 42 Stimmen das Misstrauen aus. Noch während der Abstimmung löste Papen durch eine bereits vorbereitete Order des Reichspräsidenten den Reichstag wieder auf. Hatte die Regierung Papen anfänglich die Brüningsche Deflationspolitik noch verschärft (weitere Beschneidungen des Arbeitslosengeldes, der Krisen- und der Wohlfahrtsunterstützung), so setzte sie bis zur Neuwahl noch einige kräftige wirtschaftspolitische Akzente. Im Juli gründete sie einen "Freiwilligen Arbeitsdienst", dem Ende 1932 bereits 250000 Arbeitslose angehörten. Am 4. September 1932 stellte sie 135 Millionen RM für staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereit. 700 Millionen RM sollten in Form von beleihbaren Steuergutscheinen in die Unternehmen fließen und der Finanzierung von Investitionen und Neueinstellungen dienen. Mit weiteren Steuergutscheinen im Umfang von 1,5 Milliarden RM sollten die Betriebe in den kommenden Jahren einen Teil ihrer Steuern und Zölle bezahlen können. Unternehmen, die Arbeitslose einstellten, durften die Tariflöhne teilweise um bis zu 20 Prozent unterschreiten. Die staatliche Zwangsschlichtung war bereits am 15. Juni 1932 abgeschafft worden. Insgesamt bedeuteten diese Maßnahmen (die zunächst eher zur Längerbeschäftigung von Kurzarbeitern als zu Neueinstellungen führten) den vorsichtigen Übergang zu einer aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Papens Programm fand große Zustimmung in der Industrie, während die geplanten Tarifunterschreitungen bei Gewerkschaften und Arbeitnehmern auf heftige Kritik stießen. Vom 3. bis 7. November kam es bei den Berliner Verkehrsbetrieben zu einem "wilden" Streik, der den gesamten öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt lahmlegte. Organisiert wurde er von Kommunisten und Nationalsozialisten (zum Teil gemeinsam!). Auseinandersetzungen mit der Polizei forderten drei Tote.

Wahlen zur Nationalsversammlung (1919) und zu den Reichstagen

Aus dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 6. November 1932 schöpften die Demokraten erstmals wieder Hoffnung. Zwar erzielte die KPD wiederum einen beträchtlichen Stimmenzuwachs auf Kosten der SPD und brachte es auf 100 Mandate; auch war die Lage der bürgerlichen Mittelparteien (mit Ausnahme des Zentrums) weiterhin desolat; aber im rechten Lager gab es eine beträchtliche Veränderung. Die "Papen-Parteien" DVP und DNVP verzeichneten leichte Gewinne, während die NSDAP erstmals seit 1928 Verluste hinnehmen musste: Sie verlor gut zwei Millionen Stimmen (4,2 Prozent) bzw. 34 Mandate. Die nationalsozialistische Welle hatte ihren Höhepunkt erreicht und begann wieder abzuflauen – so urteilte die seriöse Presse. In der Tat setzte sich der Abwärtstrend der NSDAP am 4. Dezember bei den Kommunalwahlen in Thüringen fort.

Die Krise des Parlamentarismus nach 1928 (© Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, Droste, Düsseldorf 1978, S. 565)

Wo lagen die Ursachen für die Stimmenverluste der NSDAP? Offenbar war ein Teil ihrer Wählerschaft mit Hitlers erfolgloser Alles-oder-nichts-Strategie und mit der punktuellen Zusammenarbeit zwischen NSDAP und KPD unzufrieden. Darüber hinaus hatte Hitlers öffentliche Solidarisierung mit brutalen Mördern auf rechtsstaatlich gesinnte Bürger abstoßend gewirkt. Am 10. August 1932 hatten fünf angetrunkene SA-Leute im oberschlesischen Dorf Potempa einen KPD-nahen Arbeitslosen brutal getötet. Als die Täter am 22. August zum Tode verurteilt wurden, schickte Hitler ihnen ein Telegramm: "Meine Kameraden! Angesichts dieses ungeheuerlichen Bluturteils fühle ich mich mit euch in unbegrenzter Treue verbunden. Eure Freiheit ist von diesem Augenblick an eine Frage unserer Ehre, der Kampf gegen eine Regierung, unter der dieses möglich war, unsere Pflicht!" Papen, der als Reichskommissar in Preußen auch das Begnadigungsrecht ausübte, wandelte am 2. September das Todesurteil in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe um. Im März 1933 wurden die Täter auf freien Fuß gesetzt.

Rücktritt der Regierung Papen

Am 17. November 1932 trat die Regierung Papen zurück, blieb jedoch geschäftsführend im Amt. Ihre politische Lage war aussichtslos geworden. Auch der neue Reichstag würde ihr das Misstrauen aussprechen oder ihre Notverordnungen aufheben. Schließlich wurde im Kabinett ein "Kampfplan" erwogen: Auflösung des Reichstages ohne Neuwahlen, Ausschaltung der Parteien mit Hilfe von Polizei und Reichswehr, autoritärer Umbau der Verfassung und spätere Billigung dieser Maßnahmen durch eine Volksabstimmung oder eine Nationalversammlung. Hindenburg gefiel der Plan; er akzeptierte aber Schleichers Warnung vor einem Bürgerkrieg. Am 21./22. November bot er Hitler die Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung an; der NSDAP-Führer forderte jedoch erneut die Präsidialkanzlerschaft, die ihm Hindenburg abermals verweigerte. In einem Brief an Staatssekretär Meissner vom 23. November 1932 skizzierte Hitler unverblümt seine politischen Absichten: "Es ist daher in der Zukunft die Aufgabe eines Kanzlers, der [...] die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Vorgehens als gefährliche Hemmung ansieht, sich eine Mehrheit für ein aufgabenmäßig begrenztes und zeitlich fixiertes Ermächtigungsgesetz zu sichern. Die Aussicht auf den Erfolg eines solchen Versuchs wird umso größer sein, je autoritärer auf der einen Seite die Position dieses Mannes ist und je schwerer auf der anderen die [...] schon in seinen Händen befindliche parlamentarische Macht in die Waage fällt." Am 2. Dezember entließ Hindenburg die Regierung mit großem Bedauern und ernannte Schleicher zum neuen Reichskanzler. Papen blieb aber ein enger Vertrauter des Reichspräsidenten.

Reichskanzlerschaft Schleichers

Schleicher behielt auch als Kanzler das Amt des Reichswehrministers und tauschte lediglich zwei Minister aus. Mit der Ernennung eines "Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung" setzte er jedoch einen arbeitnehmerfreundlichen Akzent. Dies veranlasste den Reichstag, der vorläufig keine erneute Auflösung befürchten musste, auf ein sofortiges Misstrauensvotum zu verzichten. Vom 6. bis 9. Dezember 1932 beschloss er die Aufhebung der von Papen ermöglichten Tarifunterschreitungen sowie eine dem sozialen Frieden dienliche Amnestie für politische Straftaten, ausgenommen für Tötungsdelikte. Außerdem änderte er Artikel 51 WV dahingehend, dass künftig nicht der Reichskanzler, sondern der Präsident des Reichsgerichts den Reichspräsidenten vertrat. Starb der greise Hindenburg, so sollte Schleicher nicht die drei mächtigsten Staatsämter auf sich vereinigen. Danach vertagte sich das Parlament.

Scheiternde Bündnispläne

Mit seiner Regierungserklärung vom 15. Dezember 1932 sorgte Schleicher für eine Überraschung, indem er sich vom Kapitalismus ebenso distanzierte wie vom Sozialismus. Er sei der "überparteiliche Sachwalter der Interessen aller Bevölkerungsschichten", ein "sozialer General". Er kenne nur ein Ziel: "Arbeit schaffen!" Senkungen der Arbeitseinkommen werde es nicht geben. Im Rahmen einer "Winterhilfe" sollten Fleisch und Kohle billiger werden (was einer Forderung der SPD entsprach). Mit "allen gutwilligen Kräften" im Parlament wolle er zusammenarbeiten. Der Drahtzieher der "Kamarilla" war offenbar zu der Einsicht gelangt, dass die bisherige Regierungsweise mit dem Artikel 48 WV in eine Sackgasse geführt hatte. Stabile autoritäre Verhältnisse hatten sich nicht eingestellt. Die Unzufriedenheit der Bürger mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Präsidialkabinette war bei den in immer kürzeren Abständen abgehaltenen Reichstagswahlen allein der NSDAP und der KPD – zuletzt sogar nur noch den Kommunisten – zugute gekommen.

Deshalb warb Schleicher jetzt bei den Arbeitnehmerflügeln von SPD, Zentrum, DNVP und NSDAP um eine parlamentarische (Tolerierungs-)Basis in Form einer "Querfront". Dafür stellte er eine stärkere Berücksichtigung der Interessen von Arbeitern, Angestellten und Beamten in Aussicht. Hinsichtlich der Nationalsozialisten lief dieser Vorstoß auf eine Abspaltung ihres "linken" Flügels um den Reichsorganisationsleiter und "zweiten Mann" der NSDAP, Gregor Strasser, hinaus. Tatsächlich war Strasser dazu bereit, als Vizekanzler in die Regierung Schleicher einzutreten. Als Hitler jedoch – mit großer Mühe – die Mehrheit der Parteifunktionäre hinter sich brachte, musste Strasser am 8./9. Dezember 1932 von allen Ämtern zurücktreten.

Auch bei den Gewerkschaften aller Richtungen hatte die "Querfront" Interesse geweckt. Aber die SPD, die Schleicher stark misstraute, brachte den ADGB Anfang Januar 1933 von einer Zusammenarbeit mit dem General ab. Dabei vertieften sich die bereits in der Frage der Arbeitsbeschaffungspolitik eingetretenen politischen Spannungen zwischen SPD und Gewerkschaften. Die Linke war jetzt gewissermaßen doppelt gespalten und demzufolge noch mehr geschwächt. Den großagrarischen Reichslandbund enttäuschte Schleicher, indem er nur die Milchwirtschaft förderte: Per Notverordnung vom 23. Dezember 1932 wurden die Hersteller von Margarine zur Beimischung von Butter gezwungen. Es folgten heftige Proteste: Kritisierten SPD und Gewerkschaften die absehbare Verteuerung des billigen pflanzlichen Grundnahrungsmittels, so bemängelten RDI und DVP die Bevorzugung der Landwirtschaft und fürchteten Lohnforderungen der Gewerkschaften. Allgemein begrüßt wurde dagegen ein außenpolitischer Fortschritt: Am 11. Dezember 1932 erkannten die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien Deutschlands militärische Gleichberechtigung im Grundsatz an – nach der Lösung des Reparationsproblems zeichnete sich eine weitere Teilrevision des Versailler Vertrages ab. Den breiten Protesten gegen seine Margarineverordnung zufolge musste Schleicher bei der nächsten Reichstagssitzung Anfang Januar mit einem Misstrauensvotum rechnen. Jetzt wollte er denselben verfassungswidrigen Weg beschreiten, den er Papen noch verbaut hatte. Unter strenger Geheimhaltung ließ Schleicher eine Serie von Notverordnungen für den "Staatsnotstand" vorbereiten: Reichstagsauflösung ohne Neuwahl; Verhängung des Ausnahmezustandes und Übertragung der vollziehenden Gewalt auf die Reichswehr im Falle eines Generalstreiks; Streikverbot für den öffentlichen Dienst sowie für lebenswichtige Betriebe unter Androhung harter Strafen; Unterdrückung der Gewerkschaften; Verstärkung des Katastrophenschutzverbandes "Technische Nothilfe", einer bewährten Streikbrecherorganisation. Dies alles lief auf eine befristete Militärdiktatur bis zum Abflauen der Wirtschaftskrise und des politischen Extremismus hinaus. Ob das die letzte Chance der Weimarer Republik war, Hitler zu vermeiden, ist unter Historikern umstritten und wegen der schillernden, politisch fragwürdigen Figur Schleicher zumindest zweifelhaft. Der Reichspräsident lehnte den Staatsnotstandsplan ab, denn er wollte keine Anklage vor dem Staatsgerichtshof wegen Amtsmissbrauchs riskieren. Auch eine Reichstagsauflösung mit verfassungsgemäßer Neuwahl (sie hätte der NSDAP – ohne den Kanzlerbonus – weitere Verluste beschert) genehmigte er nicht. Am 28. Januar 1933 blieb Schleicher nur noch der Rücktritt. Letztlich scheiterte er an den politischen Folgen des Präsidialregimes, das er selbst in hohem Maße mitzuverantworten hatte. Sein Nachfolger stand schon kurz vor der Ernennung: Adolf Hitler, der die "Querfront"-Strategen Schleicher und Strasser 1934 ermorden ließ.

Regierungsübertragung auf die NSDAP

"Das Jahr 1932 war eine ewige Pechsträhne", schrieb Joseph Goebbels am 25. Dezember 1932 in sein (1934 veröffentlichtes) Tagebuch, "man muss es in Scherben schlagen [...]. Die Zukunft ist dunkel und trübe; alle Aussichten vollends entschwunden." Nach drei großen Anläufen – Reichspräsidentenwahl im April, Reichstagswahlen im Juli und November – stand die NSDAP wegen Hitlers Alles-oder-nichts-Politik noch immer vor den Toren der Macht. Ihr Massenanhang hatte abzubröckeln begonnen; die Parteikasse war leer. Schleichers Spaltungsversuch und Gregor Strassers Rücktritt hatten die NSDAP so schwer erschüttert, dass Hitler sich vorübergehend mit Selbstmordgedanken trug. Goebbels besaß also allen Grund zum Pessimismus. Nur fünf Wochen später jedoch, am 30. Januar 1933, notierte er begeistert: "Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei." Diese erstaunliche Wendung lässt sich nur erklären, wenn man die Ziele und Aktivitäten derjenigen Teile der Eliten in Militär, Bürokratie und Wirtschaft in den Blick nimmt, die sich 1932/33 für Hitler einsetzten.

Befürworter Hitlers

Einzelne Schwerindustrielle wie Emil Kirdorf (Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat) und Fritz Thyssen (Vereinigte Stahlwerke) unterstützten bereits seit 1927 bzw. 1929 die NSDAP. Am 27. Januar 1932 hielt Hitler im Düsseldorfer Industrie-Club einen Vortrag, mit dem er die meisten anwesenden Wirtschaftsvertreter stark beeindruckte. Denn er verglich die auf das Privateigentum gegründete freie Unternehmerinitiative in der Wirtschaft mit dem nationalsozialistischen Führerprinzip in der Politik und führte beide auf das Leistungsprinzip zurück. Den Zuhörern wurde klar, dass die "sozialistischen" Forderungen im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 (Gewinnbeteiligung der Arbeiter in Großbetrieben, Bodenreform, Kommunalisierung der Warenhäuser) lediglich die Partei auch für Arbeiter und kleine Mittelständler wählbar machen sollten, während Hitler in Wirklichkeit nicht daran dachte, die Stellung der Unternehmer oder gar das Privateigentum an Produktionsmitteln anzutasten. Seither flossen der NSDAP auch von dieser Seite erhebliche Spenden zu. Hitler und seine Vertrauten Hermann Göring und Heinrich Himmler bemühten sich um gute Beziehungen zu Unternehmerkreisen, weil sie wussten, dass die NSDAP ohne Zustimmung zumindest eines Teils der Wirtschaft nicht an die Macht gelangen konnte. Ihre Kontakte führten im Juni 1932 zur Bildung zweier Arbeitsstäbe, in denen einige einflussreiche Bankiers, Industrielle und Großagrarier als wirtschaftspolitische Berater der NSDAP mitarbeiteten: Der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht leitete die nach ihm benannte "Arbeitsstelle Dr. Schacht", der Chemie-Industrielle Wilhelm Keppler den "Studienausschuss für Wirtschaftsfragen". Vor allem der "Keppler-Kreis" bildete im Herbst und Winter 1932 die "Keimzelle für wichtige Grundsatzentscheidungen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, und zwar im Sinne der Großwirtschaft" (Dirk Stegmann). Als das Institut für Konjunkturforschung Ende Oktober erste Anzeichen für eine konjunkturelle Besserung meldete und die NSDAP bei der Novemberwahl erhebliche Verluste erlitt, schien eine Regierung Hitler in weite Ferne zu rücken. Dies veranlasste 22 NSDAP-nahe Vertreter von Schwerindustrie, Großlandwirtschaft, Handel, Schifffahrt und Banken (darunter acht Mitglieder des Keppler-Kreises) am 19. November 1932 zu einer Eingabe an den Reichspräsidenten. Darin forderten sie, endlich "dem Führer der größten nationalen Gruppe" die "Leitung eines mit den besten sachlichen und personellen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts" zu übertragen. Die Eingabe blieb jedoch erfolglos. Im Dezember 1932 alarmierte Schleichers "Querfront"–Politik vollends diejenigen nationalkonservativen Kreise in Wirtschaft, Militär und Bürokratie, die glaubten, ihre antidemokratisch-monarchistischen Ziele nur noch mit Hilfe der nationalsozialistischen Massenbewegung verwirklichen zu können. Schleicher wirkte auf sie wie ein verkappter "Sozialist in Generalsuniform" (Eberhard Kolb). Dass Hitler keine Monarchie, sondern einen "Führerstaat" anstrebte, und dass auch er sozialpolitische Interessen der Arbeitnehmer nicht gänzlich ignorieren konnte, nahmen sie in Kauf. Sie glaubten, die NSDAP so "einrahmen" und "zähmen" zu können, dass sie im Sinne ihrer konservativen Bündnispartner regieren und sich selbst dabei politisch "abnutzen" musste.

Bündnis zwischen Papen und Hitler

Hitlers Fürsprecher besaßen keinen direkten Zugang zum Reichspräsidenten. Dieses Problem lösten sie mit Hilfe Papens, der als einziger in der Lage war, Hindenburgs Misstrauen gegenüber Hitler zu zerstreuen. Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit dem NSDAP-Führer wechselte Papen nach dem Ende seiner Kanzlerschaft in das Lager der Hitler-Befürworter, weil er darin eine Chance sah, in die Regierung zurückzukehren. Umgekehrt überwand Hitler jetzt seine Abneigung gegen Papen, da er erkannte, dass sich die NSDAP in einer desolaten Lage befand und er taktische Kompromisse machen musste, wenn er noch an die Macht gelangen wollte. Mitte Dezember 1932 bot der Kölner Bankier Kurt Freiherr von Schröder, Mitglied des "Keppler-Kreises" und der "Arbeitsstelle Dr. Schacht", Papen die Vermittlung eines Gesprächs mit Hitler an. Am 4. Januar 1933 trafen sich Papen und Hitler in Schröders Privathaus zu einer Unterredung, die als "Geburtsstunde des Dritten Reiches" (Karl Dietrich Bracher) gelten kann. Denn wie Schröder 1947 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eidesstattlich erklärte, erzielten der NSDAP-Führer und der Hindenburg-Vertraute "ein prinzipielles Abkommen" über Personal und Politik einer Regierung Hitler-Papen-Hugenberg (letzterer musste dafür erst noch gewonnen werden), die möglichst schnell das Kabinett Schleicher ablösen sollte. Als Reichskanzler wollte Hitler unter anderem für "die Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen" und für die "Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben" sorgen. Papen sollte Vizekanzler werden. Einzelheiten sollten in weiteren Besprechungen geklärt werden. Folgt man Schröder, so zielten zu diesem Zeitpunkt die "allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft" auf einen "starken Führer", der dauerhaft regieren, ihnen die "Angst vor dem Bolschewismus" nehmen und eine "beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland" schaffen sollte. Auch seien von ihm umfangreiche Staatsaufträge erwartet worden. Demgegenüber hat die neuere historische Forschung ergeben, dass Ende 1932/Anfang 1933 keineswegs die gesamte Wirtschaft hinter Hitler stand. Während sich große Teile der besonders krisengeschüttelten Schwerindustrie an Rhein und Ruhr (Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung) der NSDAP zuwandten, stimmten die übrigen Industrien (Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Chemie, Pharmazie und andere) weitgehend der Politik des Reichskanzlers Papen zu. Auch die Banken nahmen keine einheitliche Haltung ein. Hitlers Ernennung zum Regierungschef erfolgte also "bei gespaltener Industriefront" (Reinhard Neebe).

Sondierungsgespräche

Am 9. Januar 1933 erteilte Hindenburg (hinter dem Rücken des Kanzlers Schleicher) Papen die Genehmigung, Verhandlungen über eine von ihm geführte Regierung unter Beteiligung der NSDAP aufzunehmen. In diversen Sondierungsgesprächen, unter Mitwirkung einiger Industrieller, kam es in dem machtstrategischen Dreieck NSDAP – Papen/Hindenburg/"Kamarilla" – DNVP/Stahlhelm schrittweise zu einer politischen Verständigung. Gleichzeitig wandten sich immer mehr Personen, die Hindenburg persönlich schätzte – darunter der ehemalige Kronprinz Wilhelm, Gutsnachbar Oldenburg-Januschau und der alte Regimentskamerad General Werner von Blomberg – an den Reichspräsidenten und empfahlen ihm die Bildung einer von Hitler geführten Regierung aus Stahlhelm, DNVP und NSDAP. Strittig zwischen NSDAP und DNVP blieb Hitlers Forderung nach einem nationalsozialistischen Reichskommissar im preußischen Innenministerium (um die preußische Polizei zu kontrollieren) und nach Reichstagsneuwahlen im Anschluss an die Regierungsbildung (um mit dem Kanzlerbonus eine Mehrheit für das geplante "Ermächtigungsgesetz" zu erhalten). Währenddessen wurde Schleichers politische Stellung immer schwächer: Da er im Osten ähnliche Siedlungspläne wie Brüning hegte, geriet er in Konflikt mit Hindenburg und verlor die parlamentarische Unterstützung der DNVP; am 28. Januar musste er zurücktreten. Der Reichspräsident erwog jetzt ernsthaft eine Kanzlerschaft Hitlers; seine Bedingung, Blomberg müsse Reichswehrminister werden, war dem NSDAP-Führer nur recht, denn der General stand (ohne Hindenburgs Wissen) schon seit längerem den Nationalsozialisten nahe.

Hitler wird Reichskanzler

Am Vormittag des 29. Januar 1933 einigten sich Hitler, Göring und Papen darauf, dass Papen Reichskommissar für Preußen, Göring kommissarischer preußischer Innenminister werden sollte. Der frühere thüringische NSDAP-Minister Wilhelm Frick war als Reichsinnenminister vorgesehen. Am Nachmittag sprach Papen mit Hugenberg und den Stahlhelm-Führern Seldte und Duesterberg. Hugenberg war noch immer gegen Neuwahlen; aber das Angebot Hindenburgs, Doppelminister für Wirtschaft und Landwirtschaft im Reich und in Preußen zu werden, fand er verlockend. Seldte wünschte sich das Arbeitsministerium; Duesterberg blieb distanziert. Nachdem auch mehrere Mitglieder des Schleicher-Kabinetts ihre Mitarbeit angeboten hatten, war die Ministerliste fast komplett. Zwei Ereignisse beschleunigten die Entwicklung. Zum einen wünschte Hindenburg eine rasche Regierungsbeteiligung der Zentrumspartei, damit diese nicht länger im Haushaltsausschuss die Untersuchung des peinlichen "Osthilfe-Skandals" forcierte. Ostelbische Gutsbesitzer, darunter Hindenburgs Freund Oldenburg-Januschau, hatten offenbar mehr wirtschaftliche Subventionen erhalten, als ihnen zustanden, und diese zum Teil für private Zwecke ausgegeben. Mit der Zusicherung, den Eintritt des Zen-trums in eine parlamentarische Mehrheitsregierung Hitler-Papen-Hugenberg (ohne den Artikel 48 WV) anzustreben, kam Papen Hindenburgs Vorstellungen entgegen und zerstreute zugleich dessen letzte Bedenken gegen Hitlers Kanzlerschaft. Für die Zentrumspartei wurde das Justizressort offen gehalten. Zum anderen führten am Abend des 29. Januar 1933 verbreitete Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch Schleichers dazu, dass der am nächsten Morgen in Berlin eintreffende designierte Reichswehrminister Blomberg sofort zu Hindenburg gebracht und noch vor dem Reichskanzler vereidigt wurde – ein verfassungswidriger Vorgang. Die künftigen Regierungsmitglieder waren um 10.45 Uhr zum Reichspräsidenten bestellt. Noch immer wehrte sich Hugenberg gegen eine Reichstagsauflösung. Papen verwies eindringlich auf den (angeblich) drohenden Militärputsch; Hitler versprach, auch nach Neuwahlen keinen Minister zu entlassen. Hugenberg blieb bei seinem Nein, ging aber doch mit den anderen mit, als Meissner drängte, man könne den Reichspräsidenten nicht länger warten lassen. Um 11 Uhr leisteten Hitler, Göring und Frick, Papen, Hugenberg, Seldte und weitere vier (parteilose) konservative Minister den Amtseid auf die Weimarer Verfassung. Oberflächlich betrachtet waren die drei Nationalsozialisten in der Regierung tatsächlich "eingerahmt": durch den Reichspräsidenten, Vertreter des Stahlhelm (Seldte), der DNVP (Hugenberg) und durch die parteilosen Fachminister. Aber die NSDAP besaß strategisch wichtige Schlüsselstellungen: Reichskanzler Hitler leitete die Kabinettssitzungen und bestimmte die "Richtlinien der Politik" (Art. 56 WV), Innenminister Frick war unter anderem für die Vorbereitung und Durchführung von Gesetzen bzw. Notverordnungen zur inneren Sicherheit (zum Beispiel Zeitungs-, Versammlungs- und Parteienverbote) zuständig. Dem Minister ohne Geschäftsbereich Göring unterstand als Reichskommissar das preußische Innenministerium – und demzufolge die größte deutsche Landespolizei. Hinzu kam die NSDAP-Nähe des Reichswehrministers von Blomberg. Es zeugt daher von einem beträchtlichen Realitätsverlust, wenn Papen gegenüber einem konservativen Kritiker äußerte: "Was wollen Sie denn? Ich habe das Vertrauen Hindenburgs. In zwei Monaten haben wir Hitler so in die Ecke gedrückt, dass er quietscht." Tatsächlich konnte die NSDAP ihre "Einrahmung" schon am nächsten Tag durchlöchern, als Reichskanzler Hitler die ihm auferlegten Verhandlungen mit dem Zentrumsführer Kaas mit seiner unannehmbaren Forderung nach einer einjährigen Vertagung des Reichstages absichtlich zum Scheitern brachte. Danach bat er Hindenburg um Auflösung des Parlamentes, da er mit dem gegenwärtigen Reichstag nicht regieren könne. Der Präsident möge sich keine Sorgen machen – diese Neuwahlen, so versprach er doppeldeutig, würden "die letzten" sein. Hindenburg stimmte zu und erteilte am 1. Februar 1933 die Auflösungsorder.

Ohnmacht der Hitler-Gegner

Die Gegner der NSDAP waren über Hitlers Ernennung zum Reichskanzler bestürzt, aber eine gemeinsame Aktion brachten sie nicht zustande. Die KPD rief zum Generalstreik auf und schlug der SPD die Bildung einer "Einheitsfront" vor. Doch die Sozialdemokraten sahen auch jetzt keine Basis für eine Zusammenarbeit – frühere kommunistische Einheitsfrontangebote hatten stets das erklärte Ziel verfolgt, die sozialdemokratischen Arbeiter von ihrer "sozialfaschistischen" Führung zu trennen; auch kämpfte die KPD nach wie vor für ein "Sowjetdeutschland". Die SPD beschränkte sich darauf, ihre Mitglieder und Anhänger zur Bewahrung von "Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin und Einigkeit" aufzurufen und die neue Regierung vor Verfassungsbrüchen zu warnen. Für die Gewerkschaften kam ein Generalstreik so wenig infrage wie im Juli 1932. Von der Zentrumspartei, die ja Koalitionen mit der NSDAP durchaus wünschte, war Widerstand nicht zu erwarten. Die bürgerlich-liberalen Parteien spielten aufgrund ihrer Schwäche kaum noch eine Rolle. Vor allem zahlte sich jetzt Hitlers Legalitätstaktik aus. Die NSDAP hatte die politische Macht nicht erobert, sondern sie war ihr, scheinbar verfassungskonform, in die Hände gelegt worden. Stattgefunden hatte keine "Machtergreifung", wie die NS-Propaganda später prahlte, sondern eine begrenzte Machtübertragung, nämlich die Beauftragung Hitlers mit der Führung einer parlamentarischen Regierung. Wenn es der NSDAP gelang, binnen eineinhalb Jahren ihre Gegner auszuschalten, ihre Koalitionspartner abzuschütteln und einen diktatorischen "Führerstaat" zu errichten, so vor allem deshalb, weil sie – im Sinne der Lehren des "Preußenschlages" – diesen Prozess als eine "legale Revolution" inszenierte: nämlich als "tiefgreifende Änderung aller Dinge", die aber "im Rahmen von Recht und Verfassung" erfolgte – freilich kombiniert mit kaum verhülltem Terror. Das hat "jeden Widerstand rechtlicher, politischer oder auch geistiger Art so schwierig, ja – wie viele meinen – praktisch fast unmöglich gemacht" (Karl Dietrich Bracher). Denn wer die Entwicklung zur Diktatur aufhalten wollte, musste sich in die Illegalität begeben – das schreckte ab. Als aber das "Dritte Reich" errichtet war und die Unmenschlichkeit seiner Herrschaftsziele und -methoden alles Dagewesene in den Schatten stellte, war es für einen breiten, erfolgreichen Widerstand zu spät.

QuellentextDie Weimarer Republik aus der Sicht der Geschichtswissenschaft

[...] Die Historiker sind sich heute zumindest darin einig, dass das Scheitern der Republik und die nationalsozialistische "Machtergreifung" nur durch die Aufhellung eines sehr komplexen Ursachengeflechts plausibel erklärt werden können. Dabei sind vor allem folgende Determinanten zu berücksich-tigen: institutionelle Rahmenbedingungen, etwa die verfassungsmäßigen Rechte und Möglichkeiten des Reichspräsidenten, zumal beim Fehlen klarer parlamentarischer Mehrheiten; die ökonomische Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse; Besonderheiten der politischen Kultur in Deutschland (mitverantwortlich zum Beispiel für die Republikferne der Eliten, die überwiegend der pluralistisch-parteienstaatlichen Demokratie ablehnend gegenüberstanden); Veränderungen im sozialen Gefüge, beispielsweise Umschichtungen im "Mittelstand" mit Konsequenzen, unter anderem für politische Orientierung und Wahlverhalten mittelständischer Kreise; ideologische Faktoren (autoritäre Traditionen in Deutschland; extremer Nationalismus, verstärkt durch Kriegsniederlage, Dolchstoß-Legende und Kriegsunschuldspropaganda; "Führererwartung" und Hoffnung auf den "starken Mann", wodurch einem charismatischen Führertum wie dem Hitlers der Boden bereitet wurde); massenpsychologische Momente, zum Beispiel Erfolgschancen einer massensuggestiven Propaganda infolge kollektiver Entwurzelung und politischer Labilität breiter Bevölkerungssegmente; schließlich die Rolle einzelner Persönlichkeiten an verantwortlicher Stelle, in erster Linie zu nennen sind hier Hindenburg, Schleicher, Papen.

Die Antwort, die auf die Frage nach dem Scheitern der Weimarer Demokratie und der Ermöglichung Hitlers gegeben wird, hängt in ihrer Nuancierung wesentlich davon ab, wie die verschiedenen Komponenten gewichtet und dann zu einem konsistenten Gesamtbild zusammengefügt werden, denn Gewichtung und Verknüpfung sind nicht durch das Quellenmaterial in einer schlechthin zwingenden Weise vorgegeben, sie bilden die eigentliche Interpretationsleistung des Historikers. [...]

Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, Oldenbourg, München 2002, S. 250 f.

[...] Woran ist also Weimar gescheitert? Die Antwort ist nicht mit letzter wissenschaftlicher Präzision zu geben, aber einiges lässt sich doch ausmachen: die wichtigsten Gründe liegen auf dem Feld der Mentalitäten, der Einstellungen und des Denkens. In der Mitte des Ursachenbündels finden sich eine Bevölkerungsmehrheit, die das politische System von Weimar auf die Dauer nicht zu akzeptieren bereit war, sowie Parteien und Verbände, die sich den Anforderungen des Parlamentarismus nicht gewachsen zeigten. Die Ursachen für diese Defekte dürften überwiegend in langfristigen, aus den besonderen Bedingungen der preußisch-deutschen Geschichte zu erklärenden Zusammenhängen zu suchen sein, verstärkt durch die Entstehungsbedingungen des Weimarer Staatswesens und seiner außenpolitischen Belastungen. Die Übertragung dieser ungünstigen Gruppenmentalitäten auf das Weimarer Regierungssystem wurde durch den Wahlrechtsmodus erheblich begünstigt. [...] Die antirepublikanischen Tendenzen in Armee, Bürokratie und Justiz waren grundsätzlich beherrschbar, eine Frage des Machtbewusstseins von Parteien und Regierung. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren hauptsächlich langfristig wirksam, indem sie auf die Mentalitäten von Bevölkerung und einzelnen Gruppen einwirkten; aktuelle ökonomische Krisen verstärkten die destabilisierenden Momente, verursachten sie aber nicht.
Lapidar lässt sich also schließen: Bevölkerung, Gruppen, Parteien und einzelne Verantwortliche haben das Experiment Weimar scheitern lassen, weil sie falsch dachten und deshalb falsch handelten. [...]

Hagen Schulze, Weimar. Deutschland 1917-1933, Siedler Verlag /Random House, Berlin 1994, S. 425

[...] Die Reichstagswahl im Mai 1928 schien die Konsolidierung der Republik zu bestätigen. Allerdings bezahlten alle bürgerlichen Parteien ihre zeitweilige Regierungsbeteiligung mit Wählerverlusten, und in allen kam es daraufhin zu einer Kräfteverschiebung nach rechts. In der DNVP setzte sich der radikale, strikt antiparlamentarische alldeutsche Flügel durch. Auch die Haltung der Unternehmerverbände verhärtete sich wieder.
Doch erst unter dem Druck der beginnenden Weltwirtschaftskrise fielen jene fatalen politischen Entscheidungen, durch die sich die offene Situation immer mehr zu einer schlechten, wenn auch bis zum Ende nie aussichtslosen Zukunftsperspektive für die Republik verengte. Erst jetzt entstand jenes Machtvakuum, das die Verächter der Demokratie in der Umgebung des Reichspräsidenten für ihre Zwecke ausnutzen konnten. Der NSDAP gelang ihr grandioser Aufstieg von der politischen Sekte zur mächtigen "Volkspartei des Protests" vor allem aus zwei Gründen: Die eine Ursache war, daß breite Bevölkerungsschichten den Staat für die Verletzung ihrer elementaren Interessen verantwortlich machten, die soziale Gerechtigkeit grob mißachtet sahen und sich von den etablierten Parteien nicht mehr repräsentiert fühlten. Dazu kam als zweite Ursache, daß die politischen und gesellschaftlichen Eliten die rechtsradikalen Staatsfeinde in Dienst zu stellen hofften, statt sie energisch zu bekämpfen. Bereits in der Agrarkrise der späten zwanziger Jahre zeichnete sich ab, daß die politische Mobilisierung der empörten Landbewohner überwiegend der NSDAP zugute kam. In der Weltwirtschaftskrise bestätigte sich dieser Trend in den Städten. Je mehr sich die sozialen Spannungen verschärften, desto attraktiver wurden die ideologischen Angebote der NSDAP:
Wiederherstellung der "Volksgemeinschaft" unter einem starken, gerechten "Führer", Zähmung der Kapitalisten und Vernichtung der "Bolschewisten". Die Widersprüchlichkeit der Parolen bot den verschiedenen Schichten An- knüpfungspunkte für ihren Protest. Angstgeplagten Bürgern machte die bei Demonstrationen und Aufmärschen zur Schau gestellte Durchsetzungskraft der Nationalsozialisten Mut. Junge Menschen wurden durch die Dynamik der "Bewegung" in besonderer Weise angezogen, und dies wiederum schien der NSDAP in den Augen vieler Älterer die Zukunft zu verheißen.
1930, als der schwere Konjunkturrückschlag harte finanz- und sozialpolitische Einschnitte erzwang, sich jedoch noch nicht zu einer fundamentalen Wirtschaftskrise ausgeweitet hatte, kündigte sich die Gefährdung der Republik von rechts bei der Septemberwahl in der sprunghaften, gewaltigen Zunahme der NSDAP-Stimmen an. Aber noch stand weniger als ein Fünftel der Wähler im nationalsozialistischen Lager. Die Bildung einer parlamentarisch verankerten Mehrheitsregierung unter Ausschluß der extremen Flügelparteien NSDAP, DNVP und KPD war weiterhin möglich [...]. Dieser Weg setzte allerdings einen über alle Interessengegensätze hinwegreichenden Konsens voraus, die demokratische Verfassung unbedingt zu erhalten, und diesen Konsens gab es nicht. Vielmehr entschlossen sich die konservativen Machteliten jetzt, dauerhaft gegen die stärkste demokratische Partei, die SPD, zu regieren und vom parlamentarischen zum autoritären System überzugehen. [...]
Die Weimarer Republik mußte in der kurzen Zeit ihres Bestehens mit enormen Schwierigkeiten fertig werden. Wegen ihrer großen strukturellen "Vorbelastungen", der vielfältigen sozialen Spannungen, der Schwächen ihrer Eliten und der überzogenen Erwartungen ihrer Bürger war sie dafür schlecht gerüstet. Den letzten Stoß aber erhielt sie durch den revisionistischen Ehrgeiz einer konservativen politischen Führung, die seit der Ära Brüning inmitten einer dramatischen Wirtschafts- und Staatskrise danach strebte, die außen- und innenpolitische Niederlage von 1918 zu überwinden.

Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Klett-Cotta, Stuttgart 2008, S. 507 ff.

Quellen / Literatur

Aus: Informationen zur politischen Bildung (Heft 261) - Kampf um die Republik 1919-1923 (2011)

Fussnoten

Weitere Inhalte

geboren 1950, studierte von 1971 bis 1978 Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen. 1973/74 war er ein Jahr als German Assistant an einer Schule in England tätig. Nach dem Vorbereitungsdienst 1978 bis 1980 in Salzgitter arbeitete er als Gymnasiallehrer bis 1990 in Göttingen, seither in Hildesheim. Seit 1990 bildet er als Studiendirektor und Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Hildesheim für das Lehramt an Gymnasien angehende Geschichtslehrer/innen aus. Er hat wissenschaftliche und didaktische Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur Weimarer Republik, zum Nationalsozialismus und zur deutschen Nachkriegsgeschichte sowie zur Geschichtsdidaktik veröffentlicht.

Kontakt: »reihastu@aol.com«